Cannabis bei Multipler Sklerose: Vorsicht bei diesen Symptomen!

Arzt betrachtet MRT Gehirnscans

Multiple Sklerose (MS), eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, belastet Betroffene oft stark. Vor allem Symptome wie Spastiken, chronische Schmerzen, Schlafprobleme und Fatigue (chronische Erschöpfung) mindern die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Eine Heilung gibt es nach aktuellem Stand nicht.

Zur Behandlung und Linderung der Symptome hat sich in den letzten Jahren der Fokus von klassischen Medikamenten in Richtung natürlicherer Wirkstoffe verschoben. Darunter: Medizinisches Cannabis. Es kann die Krankheit zwar ebenfalls nicht heilen, leistet aber einen wertvollen Beitrag bei der begleitenden Behandlung von MS.

Wir schauen uns an, was die neuesten wissenschaftlichen Studien zu Cannabis bei MS sagen und wie gut Nabiximols wirktlich hilft. Außerdem besprechen wir, welche Risiken - vor allem bei stark THC-haltigem Cannabis - bestehen und wie man sie minimieren kann.

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Cannabisprodukte können Studien zufolge sehr gut helfen, um häufige MS-Symptome wie Schmerzen, Spastiken und Fatigue zu lindern. Die Nebenwirkungen sind vergleichweise gering.
  • Gleichzeitig kann Cannabis gerade für MS-Patienten negative Wirkungen haben - vor allem bei THC-lastigen Sorten. Kognitive Beeinträchtigen und psychische Symptome können sich verschlimmern, Bewegungsprobleme zunehmen.
  • Wichtig ist, gemeinsam mit dem behandelnden Arzt individuell passende Präparate für die eigene Symptomatik auszuwählen. Das können Fertig-Arzneimittel wie Nabiximols, aber auch natürliche Cannabisblüten mit einem anderen THC:CBD-Verhältnis sein.

Das sagt die Studienlage zu Cannabis bei MS

Die wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz von Cannabis bei MS ist heute deutlich umfassender als noch vor wenigen Jahren. So gibt es beispielsweise eine Studie von 2023 mit 141 MS-Patienten, bei denen bei ganzen 72 % eine signifikante Linderung von Schmerzen festgestellt werden konnte. Bei knapp der Hälfte reduzierte sich die Spastizität, bei etwa 40 % verbesserte sich die Schlafqualität. Hinzu kommt: Viele konnten dank Cannabis ihre Dosis an Opioiden und anderen Medikamenten reduzieren. Die häufigste Nebenwirkung waren Erschöpfungsgefühle (11 %), gefolgt von leichter Übelkeit. (1)

Diese Ergebnisse stehen aber nicht alleine da. Sie decken sich mit denen weiterer, ziemlich aktueller Studien. Eine Übersichtsstudie von 2022 gibt es zum Beispiel hier (2).

Eine weitere, besonders relevante Untersuchung wurde 2023 im Journal of Clinical Medicine veröffentlicht. In dieser Studie wurde der Einsatz eines vaporisierten Cannabisextrakts mit einem Verhältnis von 13 % CBD zu 9 % THC bei MS untersucht.

Über einen Zeitraum von sechs Monaten wurden sowohl Spastik als auch die Blasenfunktion der Patientinnen und Patienten regelmäßig erfasst. Die Resultate zeigten eine statistisch signifikante Verbesserung der Spastiksymptomatik sowie der Blasenentleerung.

Wirklich aufsehenerregend war aber eine andere Beobachtung: Bei vielen Patienten konnte eine Stabilisierung oder sogar leichte Besserung im EDSS (Expanded Disability Status Scale) beobachtet werden. Insgesamt zeigte sich also eine Verbesserung des Gesamtzustands der Patienten. Allerdings ist die Evidenz hier den Forschern zufolge noch nicht ausreichend, um weitreichendere Schlüsse zu ziehen.

So könnte Cannabis bei MS wirken

Cannabis wirkt bei Multipler Sklerose (MS) vermutlich vor allem über das sogenannte Endocannabinoid-System (ECS), das im zentralen Nervensystem eine wichtige Rolle unter anderem bei Schmerzverarbeitung, Muskelspannung, Stimmung und Immunregulation spielt. Die beiden Hauptwirkstoffe (Cannabinoide) THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol), wirken unterschiedlich auf das ECS, genauer auf die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2.

Weil THC vor allem auf die CB1-Rezeptoren einwirkt (und das direkt), wirkt es in den meisten Fällen stärker. Es entspannt Muskeln, lindert Schmerzen und kann Appetit und Schlaf fördern. Allerdings kann es auch psychoaktive Effekte haben und (bei entsprechender Veranlagung) mindestens psychisch abhängig machen. In seltenen Fällen sind sogar Psychosen möglich.

CBD hingegen wirkt nur indirekt und moduliert die Effekte im ECS (auf die CB2-Rezeptoren). Es wirkt Studien zufolge entzündungshemmend, angstlösend und entspannend. Möglicherweise hat CBD sogar neuroprotektive Eigenschaften, was den Einsatz bei MS noch interessanter macht. Im Gegensatz zu THC wirkt CBD nicht berauschend und macht nicht abhängig. Außerdem kann es Studien zufolge die psychoaktive Wirkung von THC abmildern.

Mit Nabiximols gegen MS

Nabiximols (in Deutschland unter dem Handelsnamen Sativex vertrieben) ist das erste zugelassene Cannabis-Medikament und wird gezielt gegen MS verschrieben. Auch gegen andere Erkrankungen, z.B. solche, die mit Schmerzen oder Spastik einhergehen, wird Nabiximols (oft off label) verabreicht.

Studien zeigen, dass Cannabispräparate wie Nabiximols (THC:CBD im Verhältnis 1:1) bei einem Teil der Patienten die Muskelsteifheit reduzieren und das allgemeine Wohlbefinden steigern können. Auch Schlafqualität und Lebenszufriedenheit verbessern sich laut Nutzerberichten oft spürbar.

Allerdings sind die Effekte individuell sehr unterschiedlich. Während manche Betroffene eine deutliche Symptomverbesserung erleben, berichten andere von sehr geringer Wirkung oder sogar negativen Effekten wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder Angst.

Möglicher Grund: Nicht alle Patienten und Patientinnen vertragen das Mischungsverhältnis von CBD und THC, wie es in Nabiximols vorliegt (1:1). Wer empfindlich auf THC reagiert, für den ist die Cannabisbehandlung mit Fertigmedikamenten keine sinnvolle Option. Hinzu kommt für MS-Patienten: Bei bestimmten MS-Symptomen sollte auf die Einnahme von THC verzichtet werden.

Vorsicht bei diesen MS-Symptomen

Grundsätzlich kann eine Cannabis-Therapie Betroffenen mit ADHS helfen - vor allem im Erwachsenenalter. Bei Jugendlichen ist dringend vom Gebrauch von Cannabis abzuraten, da sich das Gehirn noch in der Entwicklung befindet.

Weil die Diagnose ADHS aber auch bei immer mehr Erwachsenen gestellt wird, gehen einige Ärzte dazu über, Cannabis bei ADHS zu verschreiben. Voraussetzung ist, dass andere, bewährte ADHS-Medikamente nicht ausreichend wirken oder nicht vertragen werden.

Die Verschreibung von Cannabis auf Rezept ist in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen möglich. ​In Deutschland kann medizinisches Cannabis seit 2017 bei schwerwiegenden Erkrankungen verschrieben werden, wenn andere Therapien nicht ausreichend wirksam sind und eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf zu erwarten ist.

Seit dem 1. April 2024 erfolgt die Verordnung über ein elektronisches Rezept, ohne dass ein Betäubungsmittelrezept erforderlich ist. Bei gesetzlich Versicherten ist in der Regel eine Genehmigung der Krankenkasse notwendig. Fachärzte bestimmter Fachrichtungen können jedoch unter bestimmten Voraussetzungen ohne vorherige Genehmigung verschreiben.

Nebenwirkungen mit ADHS-Medikamenten

Besonders kritisch ist der Einsatz bei bestehenden kognitiven Beeinträchtigungen durch die Krankheit, da THC die Konzentration, Merkfähigkeit und Reaktionszeit zusätzlich verschlechtern kann. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, die bei MS nicht selten vorkommen, können sich durch THC verschärfen oder sogar erstmals auftreten, insbesondere bei höherer Dosierung.

Besonders junge Patienten sollten zudem auf den Konsum von Cannabis verzichten oder es nur nach expliziter ärztlicher Verordnung einnehmen. Cannabis beeinflusst die Gehirn-Entwicklung, weshalb es bei Kindern und Jugendlichen nur in Ausnahmefällen empfehlenswert ist.

Ein weiteres Risiko besteht bei schwerer Fatigue (Erschöpfung), die durch die sedierende Wirkung von THC verstärkt werden kann. Da Fatigue unabhängig von der Verlaufsform das häufigste Symptom von Multipler Sklerose ist, ist hier besondere Vorsicht geboten.

Patienten mit Gleichgewichts- oder Gangstörungen sollten ebenfalls vorsichtig sein, da THC die Koordination beeinflussen und so das Sturzrisiko erhöhen kann. Auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssen Patienten ihre körperliche Reaktion genau beobachten, da THC Puls und Blutdruck beeinflusst.

Anwender von Cannabis berichten außerdem von Reaktionen wie dem "MS Hug" oder "MS Umarmung", der bei manchen Menschen mit Multipler Sklerose auftritt. Der Konsum von stark THC-haltigem Cannabis kann diese Symptomatik verstärken oder hervorrufen.

Beim MS Hug haben Patienten das Gefühl, eine Art engen Gürtel um die Brust oder die Rippen geschnallt zu haben oder fest umarmt zu werden. Das Gefühl von Enge und Druck im Brustbereich ist nicht gefährlich, aber sehr unangenehm für die Betroffenen.

Zusätzlich können Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wie Muskelrelaxanzien oder Antidepressiva auftreten.

Sortenwahl bei MS

Da die Symptome bei Multipler Skerose oft sehr individuell sind, sind Fertigpräparate nicht für alle Betroffenen sinnvoll. Stattdessen können natürliche Cannabisblüten konsumiert werden, da sich diese individueller dosieren lassen. Auch die Sortenwahl kann je nach individueller Symptomatik erfolgen. Hierbei kommt es neben der individuellen Ausgangssymptomatik auch auf das Ziel der Einnahme an.

Symptom Empfohlene Wirkstoffkombination Sortenbeispiel (ind.) Hinweis zur Auswahl
Spastik THC + CBD (ausgeglichen) Bedrocan (THC-reich), Bediol (THC/CBD) CBD kann die muskelentspannende Wirkung von THC unterstützen
Schmerzen (neuropathisch) THC-dominant Bedrocan, Red No. 2 (Cannamedical) THC wirkt analgetisch und entspannend
Schlafstörungen THC-dominant Pedanios 29/1, Tilray THC25 Abends einsetzen wegen der sedierenden Wirkung
Fatigue CBD-dominant Pedanios 8/8, Charlotte’s Web (CBD) CBD wirkt aktivierend, nicht sedierend
Angst / Depressionen CBD-dominant Pedanios 14/1, Cannamedical CBD 20/1 CBD wirkt anxiolytisch und antidepressiv
Kognitive Probleme Möglichst niedriges THC, höheres CBD Bediol (6.3 % THC / 8 % CBD) THC meiden, da es Kognition verschlechtern kann

CHS - Ein echtes Risiko?

Auch wenn Cannabis inzwischen immer häufiger als mögliche Begleitung für die konventionelle MS-Therapie gehandelt wird: Immer wieder hört man davon, dass ein langfristiger Konsum von (medizinischem) Cannabis schwerwiegende Folgen haben kann. Das hält oft auch Ärzte davon ab, selbst schwer beeinträchtigten MS-Patienten Cannabid als Therapieoption in Betracht zu ziehen.

Und ja, CHS (Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom) ist eine Erkrankung, die auftreten kann, wenn Personen über lange Zeit hochdosiertes THC einnehmen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Freizeitkonsum, Einnahme von Fertigpräparaten oder Konsum von medizinischen Cannabisblüten handelt. (3)

Patientinnen mit Multipler Sklerose, die täglich hohe THC-Dosen einnehmen (häufig 20–40 mg/Tag), befinden sich also in der Risikogruppe für die Erkrankung, die durch zyklische Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen geprägt ist. Viele Patienten finden Erleichterung in heißen Duschen oder Bädern, weshalb dieses Verhalten auch als ein Symptom der Erkrankung gilt.

Besonderes Problem bei MS: Die Symptome des CHS können leicht mit Nebenwirkungen von MS-Medikamenten verwechselt werden.

Aber: CHS ist generell sehr selten. Wird die Einnahme durch einen Arzt begleitet - was gerade bei MS unbedingt nötig ist! - kann das Syndrom schnell erkannt und die Dosierung angepasst werden. Aus Sorge vor CHS also eine Cannabis-Therapie abzulehnen, ist auf Basis der klinischen Evidenz nicht nachvollziehbar.

Empfehlungen für die Praxis

  1. Medizinische Begleitung ist ein Muss
    Dein Arzt sollte vor der Verordnung eines Cannabis-Medikaments oder -blüten mögliche Kontraindikationen abklären (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen, Gefährdung für Psychosen). Für Kinder und Jugendliche ist eine Cannabis-Therapie nur in Ausnahmefällen sinnvoll.
  2. THC:CBD-Verhältnis prüfen
    1:1-Verhältnisse (wie bei Nabiximols/Sativex) erzielen wissenschaftlich erwiesen gute Effekte gegen Schmerzen und Spastik. Höhere CBD-Konzentrationen können die psychoaktiven Wirkungen von THC mildern und sind für empfindliche Personen und solche mit bestimmten MS-Symptomen (siehe oben) besonders geeignet.
  3. Niedrig anfangen, langsam steigern
    Bei der Anwendung von Cannabis gilt die Regel: Start low, go slow. Starte mit einer niedrigen Dosis und steigere dich langsam. Dein Arzt kann dir ebenfalls helfen, eine gute Einstiegsdosis zu finden.
  4. Rauchfreie Darreichungsformen bevorzugen
    Vaporisieren, Öle oder Edibles (essbare Cannabis-Produkte) sind weniger belastend für die Atemwege als der klassische "Joint".
  5. Nebenwirkungen beobachten
    Achte darauf, ob Müdigkeit, Schwindel, Gedächtnisprobleme und psychische Effekte wahrnehmbar sind oder zunehmen. Auch hier: Bleib immer in Kontakt mit deinem behandelnden Arzt!
  6. Langzeitrisiken im Blick behalten
    Auch wenn CHS selten ist: Behalte die möglichen Symptome im Auge.

Unser Fazit: Cannabis als Medizin bei MS

Auch Cannabis kann MS leider nicht heilen. Dennoch: Der Einsatz von Cannabis bei MS zeigt vielversprechende Effekte bei Symptomen wie Spastik, Schmerzen und Schlafproblemen - wissenschaftlich gesichert durch unterschiedlichste Studien. Erfahrungen von Betroffenen bestätigen diese Studien, warnen aber auch vor psychischen und motorischen Nebenwirkungen, besonders bei THC-lastigen Präparaten.

Gerade Patienten mit MS sollten vor allem mit THC-reichem medizinischem Cannabis vorsichtig umgehen: Dosierung, Verabreichung und Sortenwahl sollten immer mit einem Arzt abgesprochen werden. Auch die Abwägung von Risiken und Nebenwirkungen sollte gerade bei Menschen mit Multipler Sklerose unbedingt gemeinsam mit einem Arzt erfolgen.

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